Thuthu erobert den Kindergarten

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Die meisten österreichischen Mütter bleiben zu Hause bei ihrem Kind, bis es drei Jahre alt ist. Die Krippe ist zu unpersönlich, eine Babysitterin zu teuer, die Oma zu alt und eine Single-Tante gibt’s nicht. Außerdem ist es für den Staat billiger, den Müttern ein kleines Taschengeld zu zahlen, damit sie zu Hause bleiben „können“, als neue Jobs zu schaffen und Krippen zu eröffnen.Ich blieb 20 Monate zu Hause, passte auf mein zweites Kind auf und fand irgendwann, dass es langsam reichte.

Ich wollte ja wieder arbeiten. Hinzu kam, dass wir den älteren Bruder jeden Tag in den Kindergarten brachten und der jüngere auch gerne dort hin wollte. Doch am Anfang war es alles andere als leicht. Thuthus Gewöhnung an die Krippe war ein echtes Abenteuer. Am ersten Tag, nach kaum einer Stunde, holte ich ihn ab und die Tante übergab mir den Kleinen mit einem mündlichen Ereignisbericht: „Es ist alles super gelaufen, Frau Mares, nur als ich ihm die Windeln wechseln wollte, das war vielleicht eine Qual, er wollte nicht stillhalten und ich hab’s fast nicht geschafft …“ „Ah, ich hab ganz vergessen Ihnen zu sagen, dass Thuthu beim Windelwechseln nur stillhält, wenn Sie ihm Happy Birthday vorsingen …“ „Ah, alles klar! Dann weiß ich’s das nächste Mal …“ „Da wäre noch eine kleine Sache … es funktioniert nur, wenn es auf Portugiesisch gesungen wird!

Auf Deutsch geht es nicht, sein Vater hat es schon oft versucht …“ Was für ein Glück, dass Tante Karins Freund Portugiese war – und Thuthu störte der neue Akzent auch nicht: „Parabeinsch pra vossä …“ Zweiter Tag, zweiter Bericht: „Es hat funktioniert, ich hab ihm die schmutzige Windel ausgezogen, hab ihn gewaschen, aber als ich ihm die frische Windel anziehen wollte, hat’s schon nicht mehr geholfen …“ „Nun, da ist noch etwas: Da müssen Sie weitersingen, so wie wir das in Brasilien machen: É PIQUE, É PIQUE, É PIQUE, É HORA, É HORA, RA-TI-BUM: THUTHUZINHO, THUTHUZINHO!” Während ich sang, riss ich die Augen weit auf und wippte, ohne es zu merken, im Takt mit.

Tja, das hab ich einfach im Blut!) Und ich versicherte ihr: „Dann ist er ganz ruhig. Das klappt immer.“ An ihrem Blick bemerkte ich, dass sie mit ihrer Geduld bald am Ende war. Das war mir etwas unangenehm. Aber was soll man machen? Thuthu ist eben so. Dritter Tag, ich komme ein bisschen früher hin und kann sie von hinten durch die Glastür beobachten, wie sie sich ins Zeug legt. Thuthu liegt da und sie, voller Leidenschaft: É pique, é pique ..! Dabei wackelte sie mit dem Hintern. Dann drehte sie sich mit Thuthu auf dem Arm um, lächelte und da trafen sich unsere Blicke; sie lief rot wie eine Tomate an!

Vierter Tag, wieder eine Premiere: Thuthu bleibt in der Krippe zum Mittagessen. Tante Brigitte berichtet: „Frau Mares, heute hatten wir Reisfleisch zu Mittag. Thúlio hat das Essen angeschaut, und hat angefangen «Schaaaauuu» zu schreien, hat das Essen zur Seite geschoben, ist zur Küche gelaufen und dabei immer «Ischauuu», oder was weiß ich, geschrien. Danach hat er das Besteck auf den Boden geworfen und angefangen zu weinen und immer hat er «Ischaaaauuu» geschrien… „Ah! Feijão! Er wollte Bohnen haben!“ Wie konnte ich einer Österreicherin erklären, dass es fast eine Beleidigung ist, einem Brasilianer Reis und Fleisch ohne Bohnen zu servieren? Und schwarze Bohnen selbstverständlich, weil Thuthu eben Carioca [aus Rio] ist. Unmöglich! Eine Schande! Armer Thuthuzinho!

Ich überlegte schnell, wie man das Dilemma lösen könnte und wir vereinbarten, dass ich immer mehrere kleine Portionen tiefgefrorener brasilianischer Bohnen bringen würde und jedes Mal, wenn es zu Mittagessen Reis gäbe, könnten sie einfach eine Portion aufwärmen und Thuthu servieren. Uff! Ein Glück, dass ich mein jeitinho brasileiro, mein brasilianisches Talent zum Problemlösen, nicht verloren habe. Nächster Schritt: Thuthu bleibt in der Krippe bis 15Uhr. Tante Elisabeth berichtet: „Er wollte überhaupt nicht schlafen. Ich hab alles versucht. Ich hab ihn in den Arm genommen, was ich sonst nie tue, ich hab gesungen, aber nichts hat geholfen …“ „Meu Deus! Es ist so, er schläft ja auch nur in einer Rede ein!“ „Re… was?“ „Hängematte, dieses Ding, das die Indios als Bett verwenden … das an der Wand hängt … aus Stoff.“ Die Frau sah mich ungläubig und empört an. Und jetzt? Wie sollte ich da wieder rauskommen? Ich dachte kurz nach. „Ich hab zu Hause eine übrig, ich glaube, die würde in dieser Ecke hier schön hinpassen … Die anderen Kinder werden sie lieben …“ Die Verachtung in ihrem Gesichtsausdruck verwandelte sich in klare Ablehnung, das ging nun wirklich zu weit.

Freundlich und ohne die Beherrschung zu verlieren, wies sie mich zurecht: „Frau Mares, wir sind hier nicht im Regenwald und wir sind auch keine Índios, sondern zivilisierte Europäer!“ Fast wär ich, ohne einen Funken der verdammten Selbstbeherrschung, auf sie losgegangen, um die Kolonisierungsopfer des südamerikanischen Kontinents vor diesen imperialistischen Bleichgesichtern zu verteidigen. Aber da kam zu meiner Rettung gerade die Multikulti-Direktorin vorbei, eine echte 68er-Heldin, die offensichtlich schon ihre Überdosis Sex, Drugs & Rock ’n‘ Roll hinter sich hatte. Sie war begeistert von der Idee mit der Hängematte, das brächte einen Hauch von Exotik hinein und so weiter. Das Herz der Woodstock-Dame schlug höher. Sie ließ die Hängematte noch am selben Tag aufhängen.

Gerade nochmal gutgegangen. Einige Tage später holte ich Thuthu etwas früher ab. Alle Kinder schliefen noch, die zivilisierte Tante inklusive. Und wo lag sie wohl? Richtig. Ich ging langsam hinein, näherte mich der Hängematte und neben Thuthu lag sie mit ihrem entspannten und glücklichen Gesicht, sogar gesabbert hat sie. Vorsichtig nahm ich Thuthu und ging leise hinaus. Hängematte montiert, „Fäischauuu“ in den Speiseplan integriert, Geburtstagslied durchgesetzt. Nach zwei Wochen konnte ich endlich erleichtert aufatmen. Das Projekt war erfolgreich abgeschlossen: Thuthu hatte sich an die Krippe gewöhnt – das heißt… die Krippe hatte sich an Thuthu gewöhnt. Na ja, ich hätte nur nicht gedacht, dass der Gewöhnungsprozess so gut verlaufen würde! Eines schönen Tages, als ich Thuthu von der Krippe abholte, bat Tante Brigitte mich um Bohnen-Nachschub.

Ich war überrascht: „Wieso das denn? Ich habe doch erst heute Morgen fünf Dosen mitgebracht!“ „Ja, schon …“, sagte sie etwas verlegen, „Aber wissen Sie, Frau Mares, den anderen Kindern hat’s auch so gut geschmeckt …“ Ihre Erklärung überzeugte mich nicht wirklich. Ich hatte das Gefühl, dass da etwas nicht stimmte. Sie warf mir ein schüchternes Lächeln zu, sodass ich gerade noch ihre Zähne sehen konnte. Ein flüchtiges Lächeln aber damit hatte ich den Schwindel aufgedeckt: Eine Knoblauchfahne wehte mir entgegen. Und dazu der endgültige Beweis: An ihrem rechten Eckzahn klebte ein Stückchen schwarze Bohnenschale …

P.S: Diese kurze Geschichte basiert auf die Übersetzungen von Studenten der Translationswissenschafts Institut der Uni Wien unter der Leitung von Dr. Alice Leal.
Tradução e revisão: Florian Dunkel, Leticia Gomes Ribeiro, Lisa Fernanda Pillinger, Magdalena Schätz, Philipp Drexler.
Revisão final: Catarina Ferreira, Leticia Gomes Ribeiro, Lisa Fernanda Pillinger, Melanie Patrizia Strasser, Petra Bevilaqua.