“Eine gute Übersetzung liest sich so, als wäre sie nicht übersetzt” – Interview mit Michael Kegler

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Nacht_Einband_4.inddDer deutscher Übersetzer Michael Kegler hat voriges Jahr gemeinsam mit dem Schrifsteller Luiz Ruffato den Hermann-Hesse-Literaturpreis gewonnen. Anlässlich der in November in Wien statttfindenden brasilianischen Literaturwoche spricht Kegler über erzählerische Melodien, verschriftlichte Dialekte und warum es weh tut ein schlechtes Buch zu übersetzen.

Warum Brasilien?
Ich bin mit vier Jahren nach Brasilien gekommen, weil mein Vater dort eine Arbeitsstelle angenommen hatte – auf einer Eisenerzmine in Minas Gerais. Ich habe dort die Grundschule besucht, und als ich knapp zehn Jahre alt war, zog meine Familie wieder zurück nach Deutschland. Es war also Zufall, dass ich dort gelandet bin. In einem Wäldchen (das für uns ein Dschungel war) hinter der Siedlung lag die erste Eisenhütte Brasiliens, in deren Ruinen wir gespielt haben. Für uns deutsche Kinder war das Leben fast paradiesisch. Da unsere Eltern in gehobe- ner Stellung dort arbeiteten, hatten wir größere Häuser als die brasilianischen Arbeiterkinder, mit denen wir auf eine Schule gingen, und im Nachhinein war es gut so, weil wir dadurch auch einiges vom „wirklichen“ Leben im Land mitbekamen. Dass ich in einer Militärdiktatur gelebt hatte, wurde mir allerdings erst später klar, als wir nach Deutschland umgezogen wa- ren. Als Zehnjähriger ist man da wahrscheinlich nicht besonders sensibel, und vermutlich waren wir in unserer Siedlung auch einigermaßen abgeschottet.

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Foto: Fernanda Nigro

Wie hat das Land sie geprägt?
Nun, ich habe Portugiesisch gelernt, und ich habe niemals den Draht nach Brasilien verloren. Es war lange ein Sehnsuchtsort, wo ich immer wieder hinwollte. Nach dem Zivildienst habe ich eine dreimonatige Rundreise durch Brasilien gemacht. Ich habe, rückblickend gesehen, viele wichtige Momente des Landes mitbekommen, war in den frühen 1980ern dort, habe 1987 die „Diretas Já“-Bewegung (Anm. d. Red.: demokratische Wahlbewegung) und 1989 die Hyperinflation hautnah miterlebt.

Ist für ihre Entscheidung Übersetzer zu werden irgendein/e brasilianische/r Author/in/ dafür verantwortlich?
Definitiv. Während meines Zivildienstes habe Ich irgendwann im modernen Antiquariat „Kein Land wie dieses“ von Ignácio de Loyola Brandão gefunden. Später auf der Uni, beim Durchblättern des Vorlesungsverzeichnisses stieß ich auf den Namen Ray-Güde Mertin. Den Namen hatte ich mir gemerkt, denn sie hatte Loyola übersetzt. Neugierig ging ich in ihr Seminar über literarisches Übersetzen, und so fing alles an.

Zwischen wörtlicher und freier Übersetzung. Was macht eine gute Übersetzung ihrer Meinung nach?
Frei darf eine Übersetzung niemals sein. Sie muss sich so eng es geht, am ursprünglichen Text orientieren. Sonst ist es keine Übersetzung, sondern eine Nacherzählung. Dass man dabei nicht wortwörtlich sein darf, liegt daran, dass Worte in unterschiedlichen Sprachen natürlich nicht immer dasselbe bedeuten. Eine gute Übersetzung ist die, die sich so liest, als sei sie nicht übersetzt. Das zu erreichen, ohne selbst „Dichter“ sein zu wollen, ist mein großes Bestreben. Wenn eine Rezension sich über die großartige Sprache des Autors oder der Autorin freut, ohne extra die Übersetzung zu loben, das ist für mich das Größte.

Adam Thirlwell legt mehr Wert auf die Musikalität eines Textes oder auf Wortspiele als auf die Bedeutung der einzelnen Wörter. Stimmen Sie dem zu?
Nein. Für mich steht der Text im Vordergrund. Welche Geschichte möchte der Autor oder die Autorin meiner Ansicht nach erzählen, und welche Stilmittel wählt er oder sie dafür. Dazu zählt selbstverständlich auch die Melodie der Erzählung. Auch die muss ich versuchen zu übertragen. Dass der Text dann am Ende wieder ein „musikalischer“ sein muss, liegt in der Natur der Sache. Wenn wir bei der musikalischen Metapher bleiben, ist für mich der Übersetzer ein Interpret. Doch im Gegensatz zu Pianisten oder Geigern liegt mein Ziel nicht darin, dass am Ende auf der Schallplatte steht „Kegler spielt Ruffato“, sondern „Ruffato“ und darunter in etwas kleiner: „Übersetzt von Michael Kegler“. Mir ist schon sehr bewusst, wessen Stimme im Vordergrund stehen muss, und wem ich als Übersetzer verpflichtet bin. Wortspiele übersetze ich nur, wenn mir etwas tatsächlich Großartiges dazu einfällt. Sonst lasse ich es lieber sein.

Sie haben bisher vier Bücher Luiz Ruffatos ins Deutsche übersetzt. Aber auch andere brasilianische Autoren, wie J. P. Cuenca oder Eliane Brum. Diese Autoren haben nur die Sprache gemeinsam, ihre Werke sind sehr unterschiedlich. Fällt es ihnen die Übersetzung mancher Autoren leichter als anderer?
Glücklicherweise kann ich mich auf die jeweilige Sprache „meiner“ Autorinnen und Autoren gut einstellen. Es gibt aber auch Melodien, die ich nicht so gut kann. Mir ist vor Kurzem erst aufgefallen, dass das Übersetzen leichter fällt, je besser das Buch ist, egal wie kompliziert es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wenn man spürt, dass jedes Wort an der richtigen Stelle sitzt, dass da jemand genau wusste, was er oder sie tat, fühlt man sich wohl, und die Arbeit macht Spaß. Ich hatte vor einiger Zeit mal Gelegenheit, ein richtig schlechtes Buch zu übersetzen. Die Sprache war so simpel, das tat richtig weh. Entsprechend schwer el mir die Arbeit, und ich war unendlich erleichtert, als ich mich anschließend wieder Ruffato und danach dem Angolaner José Eduardo Agualusa widmen konnte.

Sie haben einmal gesagt, dass Dialekte nicht übersetzt werden können. Ruffatos Werk ist größtenteils in starkem regionalen brasilianischen Dialekt geschrieben. Wie haben sie diese Herausforderung gemeistert?
Ich weiß nicht, ob ich sie gemeistert habe, aber mein Ansatz war ungefähr so: Einen Dialekt in einen anderen zu übertragen verbietet sich wegen der jeweiligen regionalen Markierung. Also muss man sich etwas einfallen lassen. Was im Übrigen auch der Autor selbst macht. Verschriftlichter Dialekt ist ja bereits ein erfundener, also bereits ein übersetzter, Dialekt. Nicht nur bei Ruffato, sondern auch bei Guimarães Rosa, Luandino Vieira oder Mia Couto. Kein Mensch spricht so, wie es in deren Büchern steht. Das unterscheidet literarische Werke wahrscheinlich von Mundartbüchern. Man muss sich diese verschriftlichte Oralität anschauen und ihre Charakteristik, ihre Melodie, ihre Eigenheiten herausarbeiten und so gut es geht ins Deutsche übertragen. Aufpassen muss man dabei, dass es nicht grotesk oder komisch wird. Daher ist die deutsche Fassung vielleicht etwas weniger „dialektal“ als die brasilianische. Aber das ist mir lieber, als den Protagonisten aus Versehen zu verballhornen. Es ist ein bisschen so, wie mit den Wortspielen. Wenn man sie verkrampft übersetzt, kann es nur schlecht werden.

Wie beurteilen sie die Verbreitung der brasilianische Literatur im deutschsprachigen Raum?
Da ist wenig zu beurteilen. Es gibt nur wenige Übersetzungen, weil es nur einen kleinen Markt gibt. Man kann natürlich über die Dominanz der Übersetzungen aus dem Englischen jammern, aber schlimmer ist eigentlich, dass es eine Dominanz des Trivialen, Banalen, Entsetzlichen gibt. Insofern kann man mit einiger Freude feststellen, dass aus dem portugiesischen Sprachraum und damit auch aus Brasilien verhältnismäßig viel Gutes und nur wenig Triviales übersetzt wird. Natürlich könnte es gern mehr sein.

Sie haben voriges Jahr den Herman Hesse Preis gemeinsam mit Luiz Ruffato bekommen. Hat der Preis Ihrer Meinung nach einen neuen Impuls für die Verbreitung der brasilianischen Literatur im deutschsprachigen Raum bewirkt?
Ich glaube nicht, dass der Preis einen Impuls gegeben hat. Er war für mich vielmehr ein Zeichen, dass ein Autor aus Brasilien auch mal einfach als Autor wahrgenommen wird – unabhängig von seiner Herkunft. Ruffato hat den Preis sicher verdient, und da war eine Jury, die ihn wahrgenommen hat und das auch so gesehen hat. Das hat mich ungeheuer gefreut.

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