„Wenn ich schwarz wäre, würde ich heute ganz bestimmt nicht hier sitzen.“
Luiz Ruffato streicht sanft über die Barockarmlehne im noblen Salon der Botschaftsresidenz. Er ist im Rahmen der brasilianischen Literaturwoche nach Wien gekommen, um sein neues Buch „Ich war in Lissabon und dachte an dich“ zu präsentieren. Der Sohn eines Popcornverkäufers und einer Wäscherin, sie Analphabetin, er Halbanalphabet, ist heute einer der bedeutendsten brasilianischen Schriftsteller der Gegenwart.
Sein Schicksal verdankt er purem Zufall und der Förderung eines Kunden seines Vaters, der ihm einen Platz in der guten Schule der kleinen Stadt Cataguases verschafft hat. Dort, wo nur Elitensöhne Zugang hatten. Aber leicht war das nicht, „Ich wurde täglich wegen meiner Armut verfolgt und schikaniert“. Der Bub suchte ein Versteck und fand eines – in der Schulbibliothek. „Dort konnte ich nichts anderes tun als lesen“, lacht Ruffato. Dank einer Bibliothekarin, die ihm ausgesuchte Romane empfohlen hat, eröffnet sich dem Kind eine neue Welt. Heute ist ihm vollkommen bewusst, dass er, Sohn armer italienischer Migranten, das Glück gehabt hat, weiss zu sein. Wäre er schwarz gewesen, behauptet Ruffato, hätte damals niemand die Idee gehabt, ihm eine Chance in einer guten Schule zu geben. Seit den neunziger Jahren setzt Brasilien glücklicherweise auf Maßnahmen, die Armen (die große Mehrheit davon sind Afrobrasilianer) Zugang zu höherer Bildung zu garantieren. Der kleine Ruffato wollte aber nach einem Jahr partout die Eliteschule verlassen, er hatte es satt, immer der schwarze Peter sein zu müssen. „Aber ich nahm etwas mit. Die Liebe zum Lesen, mit der ich mich in der Schulbibliothek infiziert hatte“.
„Das wird sich nicht verkaufen“
Ruffato hat später als Verkäufer, Textilarbeiter und Schlosser gearbeitet, studierte Journalismus und war lange als Reporter tätig. Sein Buch „Es waren viele Pferde“ wurde von circa zwanzig Verlagen abgelehnt bis endlich eine Verlegerin mit den Worten zustimmte: „Das wird sich nicht verkaufen und bestimmt schlechte Kritiken bekommen, ich publiziere es aber doch, allerdings schulden Sie mir dafür einen richtigen Roman mit Anfang, Mitte und Ende!“ Das Buch, eine Collage aus Alltagsszenen in São Paulo, wurde ein gewaltiger Erfolg, hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, steht bei der 13. Auflage und wurde in zehn Ländern veröffentlicht.
Seit Ruffato nicht mehr Reporter ist, ist es ihm leichter möglich, sich politisch zu positionieren. Einmal in der Woche schreibt er eine Kolumne in „El Pais“, wo er, meistens anhand von Statistiken verschiedenen Sozialprobleme beleuchtet. Dabei vergleicht er die aktuelle politische Meinungslage der brasilianischen Bevölkerung, gespalten zwischen Zustimmung und Ablehnung der Präsidentin und ihrer Arbeiterpartei, mit der historischen, jahrzehntelangen Fussballrivalität der beiden größten Vereine Brasiliens: „Es ist wie bei Fla gegen Flu!“, lacht Ruffato ironisch. Flamengo, die Mannschaft der Arbeiter und der großen Mehrheit der Brasilianer versus Fluminense, das Team der Mittel- und Oberklasse. So ungefähr wie Rapid und Austria in Wien…
Ruffatos Werk erzählt von einer Welt, die in der brasilianischen Literatur bisher wenig Beachtung fand. Die Welt der nicht ganz Armen aber auch noch nicht Mittelklassebürger: Autobusfahrer, Prostituierte, Kellner… Und das mit einer stark von Regionalismus geprägten Sprache, in seinen Fall, in „Minerês“. So bezeichnet er den Dialekt aus Minas Gerais, einem brasilianischen Bundesland, den er auch bei der Wiener Lesung verwendete. Aber wie kann man so einen Dialekt übersetzen? „Gar nicht“, findet der Übersetzer Michael Kegler. Der Frankfurter hat seine ersten zehn Lebensjahre nur ein paar hundert Kilometer von Ruffatos Heimatstadt verbracht. Viele Jahre später bekamm Kegler, der den Autor vorher nur dem Namen nach kannte, den Auftrag, Ruffatos Werk zu übersetzen. „Ich habe mich auf die Form und Melodie der Sprache konzentriert. “ Auf dem Weg in ein andere Sprache geht viel verloren, das weiss Kegler. „Unser Ziel sollte sein, dass das übersetzte Buch autonom wird, daß es auch in der anderen Sprache funktioniert“.
Culture Clash
So geht es auch Serginho, den Protagonisten von Ruffatos neuestem Roman. Der mineiro (Brasilianer aus Minas Gerais) emigriert nach Portugal und auch er muss in einer anderen Welt funktionieren. Eine Welt mit gemeinsamer Sprache (Portugiesisch) aber mit unterschiedlicher Kultur und Werten. Ex-Kolonialländer spülen ihre arme Bevölkerung zurück in den alten Kontinent, wo dann jeder sich selbst überlassen ist. Serginho, unter Fremden, bemüht sich zurecht zu finden und erlebt sowohl mit den Einheimischen wie mit anderen Migranten einen Culture Clash. „Ich fragte entsetzt, wie man nur daran denken könne, seine eigene Frau zu vermieten. Da hat Herr Carrilho nachdenklich geantwortet: „das Elend, mein Junge, das Elend“. Das Buch „Ich war in Lissabon und dachte an dich“ porträtiert ein aktuelles, globales Migrationszenario, oder wie es der Protagonist traurig zusammenfasst: „Wir alle spürten die Mutlosigkeit des Einwanderers, wenn man weiß, dass dieses Leben nichts taugt, wenn man nicht einmal hoffen darf, dort begraben zu werben, wo man geboren ist“.
Serginhos Schicksal lehrt uns, daß Migration eigentlich nie ganz freiwillig stattfinden kann.
Fotos: Fernanda Nigro
Danke an Embaixada do Brasil em Viena
PDF zum ausdrücken: Ruffato_byMata